Im Land des Osterhasen (3)


Isa wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte sich den Osterhasen ganz anders vorgestellt. Der Osterhase, der nun hier vor ihr im Sessel saß, war das genaue Gegenteil von dem, was sie sich immer vorgestellt hatte. Er wirkte so alt, so zerbrechlich und krank. Was nur war mit ihm passiert? „Du fragst dich sicher, wieso du hier bist?“, fragte der Osterhase. Er hustete und hielt sich dabei gequält seinen Bauch. „Setz dich“, er wies mit seiner Pfote auf den Sessel, der ihm gegenüber stand. „Ich will dir eine Geschichte erzählen.“ Isa sah rüber zu dem Sessel, auf den der Osterhase gezeigt hatte und setzte sich schweigend hin.

„Du musst wissen, dass ich, die sprechenden Kaninchen, das das Land in dem wir wohnen, alles magisch ist. Magie nährt uns und Magie ist, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Doch es gab einst eine Zeit, in der wir ganz normale Hasen und Kaninchen waren. Eine Zeit in der es noch kein Ostern gab und in der die Welt grau und traurig aussah. Genau so, wie du jetzt hier diesen Raum und mich siehst.“ Der Osterhase machte eine Pause und schloss für einen Moment seine Augen. Isa wartete geduldig auf ihrem Sessel, bis er weiter sprach. „Alles Schöne und Gute hatte die Welt verloren. Es gab keine Farben und keine Blumen. Die Vögel hatten vergessen, wie man singt und düstere graue Wolken hatten sich über das Blau des Himmels gelegt.“ Während der Osterhase ihr davon erzählte, entstanden in Isas Kopf Bilder von der Welt, die der Osterhase ihr beschrieb. Sie sah sich erneut in dem kargen kalten Raum um und der Gedanke an eine solche Welt ließ sie frösteln. „Damals war ich ein ganz gewöhnlicher Hase. Nichts besonders. Ich kämpfte um mein Überleben, wie jeder andere Hase und jedes andere Tier auch. Doch ich war nicht besonders gut darin und so fand ich mich eines Tages in einem reißenden Fluss wieder und drohte zu ertrinken.“

Semeno, der nach wie vor auch im Raum war, trat näher und stellte sich neben den Sessel in dem der Osterhase saß. Er schien über das was der Osterhase erzählte, sehr erstaunt zu sein. „Diese Geschichte kenne ich gar nicht“, murmelte er. Der Osterhase sah liebevoll zu Semeno und legte seine Pfote für einen kurzen Moment auf die des Kaninchens. Dann erzählte er weiter.

„Im Grunde war ich dem Tode schon nahe und nichts hätte mich noch retten können. Doch dann passierte ein Wunder. Eine junge Frau streckte ihren Arm nach mir aus und zog mich aus den Fluten des Flusses. Danach kümmerte sie sich liebevoll um mich und half mir, wieder zu Kräften zu kommen. Wir wurden Freunde und ich fand in dieser Zeit zu einer Stärke und inneren Kraft, die ich mir zuvor selbst niemals zugetraut hätte.“ Wieder hielt der Osterhase für einen Moment in seiner Geschichte inne und sah gedankenversunken auf seine Pfoten. Er schüttelte seinen Kopf, ganz als würde er einen Gedanken vertreiben wollen und sah dann Isa direkt in die Augen. Isa war überrascht über den Blick, den der Osterhase ihr nun zuwarf. In seine Augen war ein Funkeln getreten, das weit mehr Stärke ausdrückte als sein geschwächter und kränklicher Körper hatten. „Diese Frau war deine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großmutter, Isa! Sie lebte zurückgezogen in einer versteckten Hütte im Wald. Dort, wo niemand sie finden konnte und wo sie das Leid der Welt versuchte zu vergessen. So lebten wir fern ab der Trauer und Bitterkeit der Menschen, in unserer eigenen Welt. Um so stärker ich wurde und um so mehr ich dank ihr zu meiner eigenen Stärke fand, um so mehr begann sich die Welt um uns herum zu verändern. Sie wurde farbiger. Die Bäume und Tiere um uns herum verloren ihre graue düstere Farbe und die bunten Farben kehrten zurück. Bäume wurden wieder grün, der Himmel wieder blau, mein Fell wieder braun. Und mit der Zeit begannen auch die Blumen in unsere Welt zurück zu kommen. Mit ihren freundlichen bunten Farben und ihrem lieblichen Duft trugen sie uns in eine Welt, fern ab allem Kummer und Leid. Mit jedem Tag, der verging, wuchs unsere neue Welt mehr und mehr.“ Der Osterhase machte eine große ausladende Bewegung mit seinen Pfoten, die alles um ihn herum einzuschließen schienen. „Dieses Land, dass die Kaninchen und Tiere hier das Land des Osterhasen nennen, ist der Ort den deine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großmutter und ich uns damals geschaffen haben.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Raum des Osterhasen und eine Kaninchen-Dame kam herein. Sie brachte Isa, dem Osterhasen und Semeno eine Tasse Kakao. Dann verließ sie wieder den Raum und der Osterhase erzählte weiter, während Isa schweigend an ihrem Kakao nippte. „Irgendwann verließ meine Freundin dann unser Land. Sie war ruhelos geworden und es drängte sie danach, zurück zu den Menschen zu kehren. Sie hoffte, die Farben und die Freude, die wir hier hatten, auch zu ihnen bringen zu können und die Welt ebenso farbenfroh werden zu lassen, wie die unsere.

Zum Abschied schenkte sie mir einen magischen Stein. Sie erzählte mir, das dies ein Wolken Sternchen sei und er in ihrer Familie von Generation zu Generation vererbt worden war. Nun wollte sie ihn mir schenken, auf das unsere selbst geschaffene Welt voller Farben, auf immer vor Unheil sicher sei und seinen Glanz niemals verliere.“ Ein kaum sichtbares und von Herzen kommendes Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Osterhasen breit. „Und tatsächlich, das Wolken Sternchen schützte unser Land. Es schuf einen Schutzschild, der sich über unsere Welt legte und sie vor der Außenwelt versteckte.“

„Du hast den Schutzschild gesehen, als du durch das Portal auf der Brücke in unser Land gekommen bist.“ Isa erinnerte sich und dachte an die Brücke und den regenbogenfarbenen Schleier, durch den sie getreten war.

„Deine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großmutter brachte den Menschen die Farben und die Wärme zurück und die Welt der Menschen wurde beinahe genau so schön und bunt wie die unsere. Doch in der Welt der Menschen gab es die Zeit, und mit der Zeit wurde meine liebe Freundin immer älter und älter, und so nahm die Natur ihren Lauf und sie verabschiedete sich aus dieser Welt und kehrte zurück in den Himmel. Bevor sie starb, nahm sie mir ein Versprechen ab. Ich musste ihr versprechen, die Farben und die Wärme in der Welt der Menschen zu bewahren und die Menschen immer wieder daran zu erinnern. Und dieses Versprechen hielt ich. Ein Mal im Jahr öffnete sich ein Portal von unserer Welt in die Welt der Menschen, damit ich und meine Kaninchen-Freunde zu den Menschen gelangen konnten. Du kennst diesen Tag als Ostern.“ Isa hatte bis jetzt aufmerksam der Erzählung des Osterhasen gelauscht. Ihr Kakao war seit einer Weile ausgetrunken, und Semeno hatte sich auf einen der anderen Sessel, die noch im Raum standen, gesetzt. Auch er hatte gespannt der Geschichte gelauscht.

„Im Grunde hätte alles so für immer weiter laufen können“, sprach der Osterhase weiter. „Doch aus irgendeinem Grund wurde das Portal in diesem Jahr früher als sonst geöffnet. Und so ist unbemerkt ein Dieb in unser Land eingedrungen. Er hat es geschafft das Wolken Sternchen zu stehlen und in die Welt der Menschen zu tragen. Doch ohne das Wolken Sternchen und seine Magie verliert mein Land seinen Zauber. Mit jeder Stunde, die verstreicht, wird der Schutzschild schwächer und schwächer. Es wird nicht mehr lange, dauern bis er ganz verschwunden ist. Und mit ihm verlieren wir alle hier unsere Magie. Wir werden wieder zu ganz gewöhnlichen Tieren. Wir werden unsere Sprache verlieren und so wird auch Ostern vergehen. Denn es wird keine Kaninchen und keinen Osterhasen mehr geben.“ Isa war erschrocken über das was sie da hörte. „Und ich fürchte, das die Menschen ohne das Osterfest mit der Zeit auch die bunten Farben und die Freude vergessen und auch ihre Welt wieder zu dem grauen und traurigen Ort wird, der er einst gewesen ist.“ Betrübt sah der Osterhase aus einem der Fenster. Draußen schien die Sonne hell und warm, und es war ihm als würde er sie auf seinem Fell spüren, auch wenn sie es bereits nicht mehr zu ihm ins Zimmer schafft. Was nur sollte aus der Welt werden, wenn es ihn, sein Land und das Osterfest nicht mehr gab?

Autorin: Andrea Laukamp

——– Teil 4 ———–



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(Spieldauer: ca. 63 Min.)


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